Passend zur verheißungsvollen Jahreszahl habe ich mal etwas aus meiner Schreibschachtel herausgekramt. Bereits 2010 habe ich mir nämlich Gedanken gemacht, wie das Steuerberater Leben 10 Jahre später wohl aussehen könnte. Veröffentlicht wurde die Geschichte dann im Buch „Steuerberatung 2020“ von nwb im Jahr 2013. Das Leben sieht zwar nicht ganz so aus, doch wer weiß, vielleicht stimmt es dann ja 2030;-)

Viel Spaß beim Lesen.

 

7 Uhr: Aufstehen

Wellenrauschen, exotisches Vogelgezwitscher und ein Sonnenaufgang am Palmenstrand. Mit dieser Urlaubsillusion lassen sich Steuerberater Thomas Lindner und seine Frau Sonja am liebsten von ihrer Screen-Tapete und dem Dolby-Surround-System wecken. Die sensorische Bettwäsche hat bereits vor 20 Minuten anhand der Körpertemperatur festgestellt, dass sich Thomas Lindner in der Leichtschlaf-Phase befindet und per Funk den Wecker verständigt, dass es los gehen kann. Ausgeschlafen und gut gelaunt kann so der Tag beginnen.

 

Während sich seine Frau Sonja um die Kinder kümmert (bei der Tochter Lilli, 7 Jahre ist gerade die Antarktis der Favorit, Sohn Lukas, 12 Jahre hat den Dschungel für sich entdeckt) geht er ins Bad.

Der Badezimmerspiegel hat Internet-Verbindung (wie so ziemlich jeder Gegenstand im Haus) und er schaut sich kurz die aktuellen Nachrichten und
Aktien-Kursentwicklungen an. Sein persönlicher iKurt (Intenet Kommunikations- und RückmeldeTechnik) empfiehlt ihm heute das
Fahrrad zu nehmen. Begründung: Heute ist viel los auf den Straßen. die Staugefahr hoch, das Wetter ist sonnig, und die Waage hat gemeldet, dass Thomas Lindner ein bisschen Sport gut tun würde. iKurt zeigt ihm ebenfalls die heute anstehenden Mandanten- und Mitarbeitertermine an.

 

Kurz bevor er fertig ist, meldet sich sein Freund Andreas und fragt, ob er um 18 Uhr Zeit und Lust auf ein Tennismatch hat. Nach einem kurzen Termincheck mit dem Terminkalender seiner Frau sagt er gern zu. Insgeheim überlegt er, ob wohl der iPaul (intelligenter persönlicher
Ansprechpartner und Lebensbegleiter) von Andreas einen Wink von seinem iKurt bekommen hat, dass er sich mehr bewegen soll. 

 

Thomas und Andreas diskutieren immer wieder gern, ob der iKurt oder der iPaul das intelligentere Smartphone ist. Die beiden Geräte sind zwar von unterschiedlichen Herstellern, haben aber nahezu die gleiche Funktionalität, so dass es letztlich immer auf eine Frage der Markenloyalität hinaus läuft.

 

9 Uhr: In der Kanzlei

Um die Kanzleitür zu öffnen, hält Steuerberater Thomas Lindner sein Auge an den Iris-Scan und die linke Handfläche auf den Biorhythmic. Mit diesem Check-In wird nicht nur die Tür geöffnet, sondern gleichzeitig sein PC hochgefahren, das Zeiterfassungssystem aktiviert und sein individueller Bio-Rhythmus ermittelt. In seinem Büro begrüßt ihn dann sein PC mit den heute anstehenden Terminen und macht ihm Vorschläge, wann er heute welche Aufgaben am besten erledigt. Dabei wird die To-Do-Liste mit dem Bio-Rhythmus abgeglichen, so dass Tätigkeiten, die hohe Konzentration erfordern in die Hochleistungsphasen gelegt werden.

 

Die Mitarbeiter nutzen diese Funktion ebenfalls gern – auch wenn das auf freiwilliger Basis läuft – um ihre stillen Stunden zu planen. 25% der
Arbeitszeit kann jeder Mitarbeiter nutzen, um sich für konzentrierte Arbeit abzuschotten. Mit einem Arbeits-Biometriker (ein neuer Berufszweig, der sich für die wissensbasierten Dienstleistungsbranchen auf die Abstimmung von Aufgaben, Teams und Konzentrationsphasen spezialisiert hat) wurde dazu ein Wochenplan entwickelt, der den einzelnen Mitarbeitern möglichst viel Spielraum lässt, um ihre stillen Stunden zu nutzen, gleichzeitig aber Zeiten für Teamkommunikation und Mitarbeitergespräche festlegt. Durch den koordinierten Wechsel von Closed Door und Open Door Arbeiten, wissen die Mitarbeiter immer wann Chef und Kollegen ansprechbar sind und der Arbeits- und Informationsfluss
läuft optimal ab. Diese hoch komplexe Koordinationsaufgabe erledigt eine eigene Software TEAK Termin- und Aufgabenkoordination, die mit dem Termin- und Aufgabenkalender aller verbunden ist.

 

Die Zeiterfassung, die früher reichlich Grips und Kreativität erfordert hat, um die 8 Stunden zu füllen, ist seit drei Jahren kinderleicht und zu 80%
automatisiert. Die Real-Time-Erfassungssoftware ReTiEr, die in der Kanzlei scherzhaft Horton (wegen dem Film „Horton hört ein Huh“)  genannt wird, ist nämlich mit Telefon und PC verbunden und zusätzlich sprachgesteuert. Aufgrund der Nummernerkennung wird jedes Telefonat automatisch dem Mandanten zugeordnet, der Mitarbeiter gibt auf der Telefontastatur mit einem Nummernkürzel nur noch ein, um welchen Auftrag es geht. Wird ein Mandant am PC zur Bearbeitung aufgerufen, landet das automatisch in der Zeiterfassung. Die Aufzeichnung wird unterbrochen, wenn mehr als 5 Minuten keine Eingabe erfolgt. Und für alles was dann noch anfällt, wird mit einer Tastenkombination die Sprachsteuerung aktiviert und der Mitarbeiter sagt das Stichwort für die Zeiterfassung.

 

Von 9 bis 10 Uhr arbeitet Thomas Lindner Mail-Anfragen und Rückrufe ab und checkt in seinen Social-Media-Kanälen, ob es geschäftliche Kontakt-Anfragen gab, die er gleich bestätigen kann. Die Plattformen filtern hier nach den angegebenen Interessen und dem Bestätigungsverhalten inzwischen so vor, dass 90% der Anfragen tatsächlich viel versprechend sind. Mit Hilfe der Social-Media-Lerndatei erhält er inzwischen auf seine Zielgruppe zugeschnittene Informationen, die er auf all seinen Kanälen mit einem Knopfdruck zur Verfügung stellen kann.

 

11 Uhr: Bilanzbesprechung

Die Mandanten Peters und Blum, die ein HiFi-Geschäft in der Innenstadt haben, kommen um 11 Uhr zur Bilanzbesprechung. Beide lieben technische Spielereien und freuen sich schon Tage im Voraus, weil sie wissen, dass sich ihr Steuerberater immer etwas Besonderes für die Präsentation ausdenkt.

 

Und auch diesmal werden sie nicht enttäuscht. Denn Steuerberater Lindner hat den Besprechungsraum im letzten Jahr mit einer Screen-Tapete ausgestattet und einem leistungsfähigen Dolby-Surround-System (natürlich bei Peters & Blum gekauft). Auf der Tapete hat er lebensgroß ein Foto der Eingangstür des HiFi-Geschäftes projiziert, so dass die beiden das Gefühl haben, gleich ihr Geschäft betreten zu können. Und zur Einstimmung läuft das Lied „Warum bin ich so fröhlich“ von Hermann van Veen. Denn vor Kurzem haben sie sich über sein Konzert anlässlich seines

75. Geburtstag unterhalten, das die beiden im März in Utrecht besucht haben.

 

Die Stimmung ist sofort bestens und zu Dritt nehmen Sie in den Lounge-Sesseln Platz. Die wichtigsten Bilanzzahlen des Jahres 2019 werden grafisch auf der Screen-Tapete präsentiert. Mit Hilfe der interaktiven Planfunktion können sie die Werte auf den 31.12.2020 hochrechnen und mit den Jahreszielen vergleichen. Wenn Fragen zu der Herkunft einzelner Kennzahlen auftauchen, erläutert BILA, das integrierte BILAnz-Auskunftssystem (mit der Stimme von Angela Merkel) die Details. Das sorgt für weitere Heiterkeit und Peters & Blum stellen immer wieder neue Fragen, um dabei auch noch andere Stimmen wie Franz Beckenbauer oder Günther Jauch zu Wort kommen zu lassen.

 

Nach gut einer Stunde sind alle Inhalte besprochen und die beiden erhalten ihre Bilanz-Blueray. Mit dem Personalausweis-Fingerabdruck, der inzwischen mit der e-Bilanz und ELSTER beim Finanzamt gekoppelt ist, geben Sie die Daten frei und verlassen die Kanzlei in bester Stimmung.

 

12.30 Uhr Kanzlei-Mittag

Im Bürogebäude befindet sich ein großer zentraler Entspannungs-Raum, den alle Unternehmen nutzen können. Hier gibt es verschiedene Sitzbereiche mit gemütlichen Couch-Ecken, Sitzbällen oder Einzelliegen mit Massagefunktion. In der Kantine wird frisch zubereitetes leichtes Essen angeboten, damit das „Suppenkoma“ nicht zu tief ausfällt. Wahlweise gibt es auch Brainfood, also Speisen die mit Hilfe von Nanotechnologie die Hirnregionen für Aufnahmefähigkeit und Konzentration aktivieren oder Beauty-Food – ältere Mitarbeiterinnen nennen es scherzhaft die M-Spezial-Dragees.

 

Zweimal die Woche (Montag und Donnerstag) treffen sich hier alle Kanzlei-Mitarbeiter in einer der Couch-Ecken und besprechen in 15 bis 30 Minuten was bei jedem Einzelnen so anliegt, wo er auf die Hilfe eines anderen zugreifen möchte oder tauschen Erfahrungen aus. Hier
steht auch ein Internet-Chat-Flatscreen. damit sich die Homeoffice-Mitarbeiter über Ihren PC einschalten und ebenfalls an der Besprechung teilnehmen können.

 

Heute ist wieder einmal der Einsatz von AUGE (Automatische Geschäftsvorfall Erfassung) beim Mandanten Gesprächsthema. Es
gibt immer noch Mandanten, die diesem System nicht angeschlossen sind. Nachdem 2015 der EKR 15 – der für alle
Unternehmen in Europa verbindlich geltende Europäische Kontenrahmen – eingeführt wurde, hat das französische Unternehmen FIT Federal Institut Taxienne eine B2B-Anwendung entwickelt, die innerhalb von 2 Jahren an allen elektronischen Kassen installiert wurde. Es
handelt sich dabei um ein Erfassungssystem, das mit Hilfe der UStID-Nr den Einkauf dem richtigen Unternehmen zuordnet und einen vollständigen Buchungssatz anhand des Produkt-Chip erzeugt. Alle getätigten Einkäufe eines Monats werden dann in einer Sammeldatei zusammengefasst und können vom Unternehmen oder dem beauftragten Steuerberater in die Buchführungssoftware eingelesen werden.

Angela, die Kanzleimanagerin, schlägt vor, bei diesen Mandanten das Honorar zu erhöhen, da in diesen Fällen der übliche Automatisierungsgrad von 98% nicht erreicht wird.

 

Nach Feierabend werden hier übrigens auch Yoga und Qi-Gong Kurse angeboten, die die Mitarbeiterinnen gern in Anspruch nehmen, um sich nach langem Sitzen vor dem PC wieder zu lockern. 

 

13.30 Uhr iKurt und die Fachliteratur

Die halbe Stunde nach der Mittagspause ist für Thomas Lindner die ideale Zeit, um aktuelle Fachliteratur durchzugehen. Das deutsche Steuerrecht ist trotz aller Ent-Bürokratisierungs-Versuche auch 2020 noch umfangreich und wird ständig aktualisiert, so dass sich Thomas Lindner ständig auf dem Laufenden halten muss.

 

Zum Glück geht das mit Hilfe der iKurt-App TMC inzwischen wesentlich gezielter. Die TMC (Tax Message Channel) App verbindet alle iKurt Nutzer, die Steuerberater sind und sammelt dort anhand des Leseverhaltens mit Bewertungsfunktion (5Sterne – extrem praxisrelevant bis
1Stern – nur für exotische Ausnahmefälle), der Rechercheanfragen und dem Mandantenprofil der Kanzleien alle relevanten Daten, um die Praxisrelevanz von neuen Gesetzen, Gesetzesänderungen, Urteilen und Kommentaren zu bewerten. iKurt liefert dann eine Leseempfehlung sortiert nach Priorität für die Kanzlei. Die Ergebnisse werden in einer interaktiven Cloud-Anwendung abgelegt und stehen mit Volltextsuche jederzeit zur Verfügung.

 

14 Uhr: Kapazitätsprobleme

Um 14 Uhr steht plötzlich Mitarbeiterin Heike Hoff in der Tür. Sie macht ein ziemlich verzweifeltes Gesicht und bittet um ein Gespräch. Es hat sich heraus gestellt, dass der Jahresabschluss für die Spedition Speed wesentlich aufwendiger ist als eingeplant. Die Inhaber haben dafür einen engen Zeitplan gesetzt, der nur eingehalten werden kann, wenn sich Frau Hoff in den nächsten zwei Wochen darauf konzentriert und ihre anderen Aufgaben liegen lässt. Doch hier sind ebenfalls terminbehaftete Aufgaben zu erledigen, so dass sie nicht weiß, an wen sie das delegieren soll. Durch die Krankheit einer Kollegin ist die Kanzlei im Moment unterbesetzt und der integrierte Kapazitätsbarometer von TEAK speziell für Steuerberater zeigt, dass keinerlei Spielraum bei den anderen Mitarbeitern vorhanden ist.

 

Zum Glück gibt es seit drei Jahren MOPEL, den Mitarbeiter Online Pool für Einzelleistungen. Hier haben sich Steuerfachgehilfinnen zusammen
geschlossen, die Kinder haben und flexibel arbeiten wollen. Dafür haben sie MOP gegründet, eine Personalagentur für Steuerberater, in der sie angestellt sind und auftragsbezogen bezahlt werden.


Kanzleien, die wie in diesem Fall einzelne Aufgaben outsourcen oder Auftragsspitzen abbauen wollen, können hier Unterstützung im Einzelfall
abrufen. Der Auftrag wird komplett online abgewickelt und an den Mitarbeiter vergeben, der gerade Kapazitäten frei hat oder dafür zur Verfügung stellen will. Bei MOPEL sind auch einige Berufsträger engagiert, die für fachliche Fragen der Mitarbeiter zur Verfügung stehen, um die Kanzlei selbst zu entlasten. Eine Video-Chat-Funktion unterstützt bei der schnellen, direkten Kommunikation mit der Kanzlei.

 

MOPEL hat sich in kürzester Zeit in der Branche durchgesetzt, und der Begriff „etwas Mopeln“ ist das Synonym für Outsourcen geworden. Die Ausbildung beim Steuerberater ist bei jungen Leuten auf der Beliebtheitsskala inzwischen unter den Top-Ten gelandet , weil sich herum gesprochen hat, dass das die besten Möglichkeiten bietet, um Freizeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Die Personalagentur MOP hat 2018 den Unternehmenswettbewerb „Erfolgsfaktor Familie“ als familienfreundlichstes Unternehmen gewonnen und so
zu diesem Renommee beigetragen.

 

16:30 bis 17:30 Virtuelle After-Work-Party

Einmal im Monat veranstaltet der Xing-Business-Club eine virtuelle After-Work-Party. Voraussetzung, um Mitzumachen ist eine Screen-Tapete, Webcam mit Tonanschluss und die iKurt App MeetYou. Die Teilnehmer betreten einen virtuellen Raum, werden in Echtgröße übertragen und
können sich miteinander unterhalten. Beim ersten Mal empfand Thomas Lindner das noch als ziemlich unheimlich, doch aufgrund der hervorragenden Bild- und Tonqualität ohne Ruckeln und Stimm-Verzögerungen gewöhnt man sich ziemlich schnell an die Situation. Über den einzelnen Personen werden die Profilinformationen angezeigt, so dass sich jeder nach passenden Partnern umschauen kann. Mit einem Fingertipp wird der andere aufmerksam gemacht und dann kann man sich entweder im Raummodus oder im Privatmodus unterhalten. Bei Interesse werden die Visitenkarten ausgetauscht und automatisch ein xing Kontakt angelegt. Über den Gruppenfunktionsmodus können Fragen auch an alle
gleichzeitig gestellt werden, so dass eine interaktive Diskussion entsteht.

 

Dieses System wurde ursprünglich von Partner-Agenturen entwickelt und hat sich seit zwei Jahren auch im Business-Bereich durchgesetzt.