„Ein schrecklicher Gedanke“ werden Sie jetzt innerlich vielleicht spontan rufen, wenn Sie zur Generation Telefonknochen gehören. (Das ist meine persönliche Definition der Generation X, die das Schnurtelefon mit Wählscheibe im Samtüberzug bei den Eltern stehen hatte, der ich übrigens ebenfalls angehöre).
Und Sie haben recht: Wer will und muss schon ununterbrochen erreichbar sein. Das ist weder gesund noch vernünftig in einer Branche, in der es – abgesehen von der Steuerfahndung – keine akuten Notfälle gibt, die innerhalb von Minuten eine Antwort oder Handlung erfordern.
Doch die Welt hat sich weiter gedreht und neben Brief, Telefon und Mail haben weitere Kanäle der Erreichbarkeit die Geschäftsbühne betreten und werden von der Generation Smartphone, also den Generationen Y und Z, die ab den 1980er Jahren im Internet-Zeitalter aufgewachsen sind, als selbstverständlich vorausgesetzt.
Wer auf dieser Bühne nicht mitspielt, wird bald hinter die Kulissen verbannt.
Die gute Nachricht: Sie können persönlich so weitermachen wie bisher, müssen nicht mit Schichtarbeit Ihre Kanzlei rund um die Uhr besetzen oder ständig online erreichbar sein. Sondern einfach den Medieneinsatz geschickt kombinieren und voll ausschöpfen. Denn es geht im ersten Schritt nicht um die persönliche Erreichbarkeit, sondern dass die Mandanten ihre Anliegen los werden können mit der Gewissheit, dass Sie sich ab dann darum kümmern.
Warum ist das so wichtig?
Positiv erlebte Servicequalität ist einer DER zentralen Zufriedenheitsfaktoren für Kunden. Gerade in Branchen, in denen – für den Laien unverständliches – Wissen verarbeitet wird, spielt der Service als Ersatzentscheidungskriterium für die Qualität eine entscheidende Rolle. Und wenn die Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung 2019 Google und Facebook als Informations- und Kommunikationsmedium nutzt und die Cloud als Datenspeicher und Sie dort nicht auftauchen, ist das vergleichbar mit einer Kanzlei ohne Mail-Adresse im Jahr 2009.
Erreichbarkeit ist ein schwammiger Überbegriff. Um ein wenig Klarheit zu bekommen, schauen Sie sich die sieben Ebenen und Erwartungshaltungen dazu an und nutzen Sie dann die dazu passenden Kanäle:
- Ein Unternehmer oder Steuerpflichtiger ist auf der Suche nach einem Steuerberater und will Grundinformationen einholen. Was tut der Interessent und wie wird er auf Ihre Kanzlei aufmerksam? Was erfährt er über Sie? Für diese Recherche wird gar keine persönliche Erreichbarkeit erwartet. Hier geht es um Google-Auffindbarkeit und aus Mandantensicht nützliche Informationen auf der Webseite, Facebook, Instagram, Xing, LinkedIn. Möglichst pfiffig oder sympathisch aufbereitet. Sie wollen den Besucher ja nicht gleich durch langweilige Texte oder Tristesse-Bilder von leeren Büroräumen vergraulen.
- Der Interessent hat Ihre Kanzlei in die engere Auswahl gezogen. Wie einfach ist die Kontaktaufnahme? Ein Klick mit vorausgefülltem Mail oder ein umständlich auszufüllendes Formular? Ist Ihre Telefonnummer sofort präsent und über App anklickbar?
- Ein Interessent oder Mandant möchte einen Termin vereinbaren. Was passiert während und außerhalb der Öffnungszeiten. Landet er beim Anrufbeantworter, den 70% nicht besprechen? Wie lange wartet er auf Rückruf? Wie freundlich ist dieser Erstkontakt? Es gibt Chatbot-Systeme oder Termin-Apps, die sind freundlicher als mancher Empfangsdrachen.
- Jemand möchte eine Frage stellen und beantwortet bekommen. Das passiert meist außerhalb der Öffnungszeiten, wenn der Mandant selbst zur Ruhe gekommen ist. Auch wenn Sie nicht die Frage sofort beantworten müssen, eine persönliche Kurzantwort per WhatsApp, dass Sie sich drum kümmern, sobald Sie wieder im Büro sind, verschafft für beide Seiten Erleichterung.
- Eine Adresse, um Unterlagen loszuwerden. Die Ära des Pendelordners ist vorbei – auch wenn Sie es vielleicht noch nicht wahr haben wollen, weil die meisten Ihrer Mandanten genau so alt sind wie Sie und der digitalen Welt noch skeptisch gegenüber stehen. Die jungen Mandanten kommen dann gar nicht erst zu Ihnen. Dabei bieten gerade die Cloud-Lösungen die ideale Kombination von Erreichbarkeit aus Mandantensicht unabhängig von persönlicher Anwesenheit. Sie können also selbst bequem offline sein, während die Mandanten Ihnen zuarbeiten.
- Beratung in Anspruch nehmen. Das persönliche Gespräch wird immer ein zentrales Element der Zusammenarbeit und Beratung bleiben. Doch mit Hilfe von Video-Konferenzen sparen Sie Ihren Mandanten oder sich den einen oder anderen Anfahrtsweg. Und vorab holt sich Ihr Mandant vermutlich schon mal die ersten Infos mit einer Frage beim intelligenten Sprachassistenten.
- Die Beziehung pflegen. Wird der gute alte Kaffeeplausch und damit der Beziehungsaufbau flöten gehen? Ganz ehrlich, wie sieht denn Ihre „analoge“ Beziehungspflege aus, bei der Sie aktiv Kontakt aufnehmen? Mitarbeiter fordern fehlende oder mangelhafte Belege an, einmal im Jahr eine Bilanzbesprechung über vergangene Zahlen, einmal im Quartal aktuelle Steuerinformationen, die keiner liest. Und dann gibt es noch eine Rechnung mit Auslagenersatz für Telekommunikation. Auch hier können die sozialen Medien mit ihren Likes und Kommentaren gute Dienste leisten.
Aufmerksamkeit ist die Währung des 21. Jahrhunderts und die Erreichbarkeit zahlt sich in barer (Zufriedenheits-) Münze aus (auch wenn das Bargeld abgeschafft werden sollte😉
3 Antworten
Da sieht die Wirklichkeit dann doch ein wenig anders aus. So, wie die heutigen Kommunikationswege viel breiter wurden, wurden sie zugleich länger. Die Erreichbarkeit der Adressaten verhält sich diametral zu den technischen Mitteln. Ständig besetzt, nicht erreichbar, gerade nicht am Platz, Warteschleifen als „Dienstangebot“ im „Call-Center“ (schon das Wort ist die Persiflage seines Angebotes), uneingelöste Rückrufversprechen sind der Alltag und verbrauchen mehr Zeit als früher, wo ein Anruf noch ernstgenommen wurde, weil ein Rückruf nicht immer möglich war.
Der Grund hierfür lässt sich nur vermuten. Die höheren Kommunikationskontakte führen zu einem höheren Informationsfluss, der mehr Kapazitäten beim Adressaten bindet.
Der Fluch der ständigen Erreichbarkeit ist deshalb ein Mythos wie das samtbezogene Wählscheibentelefon unserer Eltern auch. Es waren nämlich unsere Großeltern, die das hatten. Meine Eltern hatten Tastentelefon.
Danke für den Beitrag. Die Erreichbarkeit und Erwartungshaltung der Mandanten dazu managen ist nicht leichter geworden.
Und stimmt: das Telefon mit Samtbezug stand tatsächlich auch bei meinen Großeltern, das meiner Eltern war „nackig“ grau. Und später hatten wir dann ein Tastentelefon in orange.