7. Mai 2019 |
Bei der Accountex in London habe ich mehrere Vorträge gehört, bei denen das Thema Spezialisierung aufgegriffen wurde. Mein Lieblings-Vortragstitel dazu lautete „Go Niche or Go Home“, also freundlich übersetzt „Spezialisier Dich oder verschwinde“.
Das hat mich zum Nachdenken gebracht, denn sehr oft diskutiere ich gerade mit „kleinen“ Kanzleien (Größenordnung 1 Inhaber 10 Mitarbeiter) über das Für und Wider und welche Chancen der Generalist in Zukunft noch hat. Und ich merke, ich werde immer mehr ein Fan der Nische (Cordula und ich sind ja selbst ein gutes Beispiel dafür, wie es funktioniert). Doch viele Steuerberater tun sich schwer damit. Denn Spezialisierung bedeutet auch Ausschluss und konsequent Nein sagen zu Mandanten, die nicht passen. Und wer jetzt eine klassische „Feld-Wald-Wiesen-Kanzlei“ führt, findet ausreichend Gründe warum genau das die einzig wahre Form ist – und jedes Argument hat seine Berechtigung.
Ich möchte Sie an dieser Stelle einfach zum Nachdenken anregen und den Charme der Spezialisierung aufzeigen:
- Breitenwissen kratzt an der Oberfläche, Tiefenwissen bringt Nutzen. Natürlich können Sie die Hausarztfunktion übernehmen, doch wenn es ans Eingemachte geht brauchen Sie einen Spezialisten. Der Hausarzt ist leichter austauschbar als der Spezialist.
- Mit dem Fokus auf eine Branche erschließt sich eine neue Welt. Sie lesen deren Fachzeitschriften / Newsletter oder besuchen entsprechende Messen und Kongresse. Und beraten auf absoluter Augenhöhe, da sie die Themen der Branche so gut kennen wie die Mandanten selbst.
- „Wer den Prozess kontrolliert, kontrolliert den Profit.“ Ein schöner Satz von James Ashford bei der Accountex. Kanzleien, die eine konkrete Branche betreuen, wissen welche Abläufe wie am sinnvollsten gestaltet werden oder welche Cloud-Lösung sich am besten eignet. Und können das genau so kommunizieren.
- Sie wissen, welche Kennzahlen / Informationen für diese Branche wichtig sind und haben direkte Vergleichszahlen.
- Die Weiterempfehlungsquote und Empfehlungsqualität ist erheblich höher, denn Branchenkenntnis steht ganz oben bei den Empfehlungsgründen.
- Sie können Ihr Wissen und das der Mitarbeiter besser auf die Anforderungen dieser Branche bündeln und aktuell halten.
- Ihre Positionierung ist klar und eindeutig.
- Und jeder weiß: der Spezialist kann höhere Honorare durchsetzen als der Generalist.
Und natürlich gibt es auch Gründe, die dagegen sprechen. Doch in der zunehmend digitalen Welt muss sich jeder fragen, ob die Doppelspitze Einzelkämpfer + Generalist in Zukunft ein Erfolgsmodell ist.
Pro | Contra |
Mehr Nutzen für Mandanten durch Konzentration und Fokussierung auf ein Thema | Aufwand für Know-How-Erwerb |
Gezieltere und effektivere Aktivitäten zur Mandatsgewinnung | Abhängigkeit von der Branche |
Leistungsangebot ist maßgeschneidert | Aufwand zur Entwicklung spezieller Dienstleistungen |
Höhere Empfehlungsquoten | Empfehlungen aus anderen Bereichen können abnehmen |
Rationellere standardisierte Arbeitsweise | Kann eine kritische Menge überhaupt erreicht werden (Potenzialanalyse) |
Und hier noch drei Praxis-Beispiele aus Amerika, die aktuell zum Thema Spezialisierung im Journal of Accountancy gezeigt wurden:
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von sbstandard.com zu laden.
https://www.genskemulder.com/
www.marcumllp.com/services/tax/modern-family-LGBT-services
2 Antworten
Hallo Herr Brunstein,
vielen Dank für Ihre Anmerkung. Sie haben recht: eine Einzelkanzlei auf dem Land hat eher die Hausarztfunktion und überweist dann – um in diesem Bild zu bleiben – im Bedarfsfall an den Spezialisten.
Wenn das eine bewusste Positionierung ist, kann auch das ein tragfähiges Konzept sein. Dann besteht die Spezialisierung darin, die besten Spezialisten zu kennen und ist deshalb der erste Ansprechpartner der Mandanten für alle steuerlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen. Solch eine Kanzlei konzentriert sich dann regional auf die KMU im näheren Umfeld und kann auch hier durch reale Nähe punkten.
Die Frage, die sich für eine solche Kanzlei künftig (wenn Buchführung & Co, automatisiert laufen und die Honorare dafür sinken) dabei stellt: welches Honorar ist dafür angemessen und wie viele Mandanten in dieser Art betreut werden (können), damit es auch aus Kanzleisicht wirtschaftlich bleibt.
Beste Grüße
Angela Hamatschek
Hallo die Damen!
Grundsätzlich finde ich Ihre Beiträge sehr inspirierend, diesem Beitrag kann ich jedoch nur bedingt zustimmen, denn theoretisch mag die Spezialisierung vielleicht funktionieren, aber für das „Einzelkämpfer-Büro“ auf dem Lande ist dies schwer umsetzbar.
Der Allgemeinmediziner/Landarzt kann ja auch nicht mal ebenso zum Facharzt für HNO mutieren.
Hier kann nur die Bildung von Sozietäten mit verschiedenartigen Schwerpunkte der Partner weiterhelfen, wenn man den passende Partner auch auf dem Lande findet…